Was ist Europa?

Glaubt man dem französischen Philosophen Bernhard Levy, so ist Europa kein Ort, sondern vielmehr eine Idee! Man mag diese Ansicht teilen oder auch nicht, unstreitig ist in jedem Falle, dass wir mit dem Namen „Europa“ mehr verbinden als nur die geographische Bezeichnung für den im Westen vom Atlantik und im Osten vom Uralgebirge begrenzten Teil der eurasischen Erdplatte, den europäischen Kontinent mit seinen – je nach Zählweise- 47 Staaten.

Wenn wir von Europa sprechen, so meinen wir in der Regel die Europäische Union mit ihren inzwischen 28 Mitgliedstaaten. „Europa“ ist längst zum Synonym für die Europäische Union geworden, wie schon sehr viel länger „Amerika“ zum Synonym für die USA.

Wenn wir jemandem erklären, wir seien Europäer, gar noch ein „überzeugter Europäer“, so wollen wir damit eher weniger unsere geographische Herkunft als vielmehr eine besondere Geisteshaltung zum Ausdruck bringen. Eine Geisteshaltung, in der sich die Idee Europa widerspiegelt, die Idee von der Einheit des Kontinents, die Idee von der Vereinigung der Völker Europas in Frieden und Freiheit.

Auch wenn es im Verlauf der Geschichte des Kontinents immer wieder Initiativen für Projekte gegeben hat, Europa politisch zu einen, als wirklich realisierbar und tragfähig hat sich keines dieser Konzepte erwiesen. Jean Monnet hatte also Recht, als er die sich nach dem II. Weltkrieg stellende Herausforderung mit den Worten umschrieb: „Europa hat nie existiert, man musste Europa erst erschaffen!“

Was es jedoch gegeben hat, sind anti-europäische und im Ergebnis untaugliche Versuche, Europa durch Gewalt und Unterdrückung zu „vereinigen“. Das „Europa- Projekt“ Napoleon Bonapartes und das Adolf Hitlers legen hierfür Zeugnis ab, wobei man Napoleon noch zu Gute halten kann, dass seine Soldaten die Ideen der Französischen Revolution in ihren Tornistern durch Europa trugen. Andererseits hatte das für die Franzosen fatale Folgen, indem der deutsche Nationalismus geweckt wurde, der sich alsbald (1813) gegen Frankreich und die napoleonische Herrschaft richtete.

Es mag manch einen überraschen, dass der französische Mediävist Jacques Le Goff auch das Europa Karls des Großen, in dessen Namen immerhin alljährlich an Christi Himmelfahrt im Rathaus zu Aachen ein Preis für besondere Verdienste um die Einheit Europas verleihen wird, als „fehlgeleitetes Europa“ bezeichnet und deshalb diesen anti-europäischen Projekten zuordnet.

Für Le Goff ist die Vision Karl des Großen keine europäische, sondern vielmehr eine „nationalistische“, war doch sein Reich in erster Linie ein Frankenreich. Als ein kaum bekanntes Indiz dafür nennt Le Goff in seinem Buch „Die Geburt Europas im Mittelalter“ die Absicht Karls des Großen, den Kalendermonaten fränkische Namen zu geben. Und, was bei der „Karl der Großen- Nostalgie“ allzu gerne außen vor bleibt, ist die Tatsache, dass der karolingische Kaiser in seiner 46 Jahre währenden Regentschaft nur in zwei Jahren (790 und 807) keine Eroberungskriege geführt hat

Ähnlich sieht es der italienische Mediävist Sabatino Lopez, für den man „nicht ein Vorspiel zu Europa nennen kann, was man genau genommen als Fehlstart definieren muss. Wer heute von Europa spricht, denkt nicht an eine Einheitsreligion oder einen universellen Staat, sondern an einen Komplex politischer Institutionen, weltlichen Wissens, künstlerischer und literarischer Traditionen, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Interessen, die ein Mosaik freier Meinungen und unabhängiger Völker untermauern. Unter diesem Gesichtspunkt wird uns das Karolingerreich als ein bemerkenswerter, aber letztlich fehlgeschlagener Versuch erscheinen.“

Was man dem „Europäer“ Karl der Große gleichwohl zu Gute halten muss: Bei ihm finden sich erstmals Ansätze für das, was heute das tragende Element der europäischen Einigung ist-das gemeinschaftliche Recht. So erließ Karl der Große für das gesamte Rechtsgebiet Vorschriften, die sich auf die wichtigsten Regelungsbereiche bezogen, und überall und für jedermann Gültigkeit besaßen. Franken, Burgunder, Langobarden und Goten waren jeweils eigenen Gesetzen unterworfen. Diese Rechtsvielfalt wollte Karl der Große zum Beispiel durch ein einziges Bodenrecht ersetzen, das für alle im Reich lebenden Männer und Frauen Gültigkeit besitzen sollte. Dass diese Reform nie über das Versuchsstadium hinausgekommen ist, ändert nichts an ihrem revolutionären Charakter, weil sie erstmals die Möglichkeit einer europäischen Rechtsgemeinschaft erkennen lässt.

Der Traum von der Einheit Europas, die Idee von einer Vereinigung der Völker Europas in Frieden und Freiheit speisen sich aus dem Verständnis Europas als geistig – kulturelle Einheit. Diese geistige – kulturelle Einheit unterscheidet Europa von anderen Kontinenten. Sie schafft, um ein Wort Willy Brandts aufzugreifen, überhaupt erst die Voraussetzung dafür, dass „zusammenwachsen (vereinigt) werden kann, was zusammengehört“. Das Fundament für diese Einheit findet sich in der griechischen- römischen Antike.

Prof. Theodor Heuß, der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, hat hierzu das gleichsam anschauliche wie auch zutreffende Bild geprägt: Europa ist geistig- kulturell auf drei Hügeln erbaut: dem Aeropag in Athen, Symbol für das griechische Denken über Demokratie, dem römischen Capitol, Symbol für das römische Denken über Bürger und Staat, der res publica, und Golgatha, Sinnbild für das christliche Denken von Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Europa ist aus allem gewirkt und man darf sie alle drei, man muss sie als Einheit sehen.

Soll heißen: Aeropag, Capitol und Golgatha stehen für Traditionen, Werte und Denkrichtungen, die im Laufe der Jahrhunderte verschmolzen sind, sich gegenseitig befruchtet und erweitert haben und heute nicht mehr voneinander trennbar sind. Herausgebildet hat sich hieraus im Laufe der Jahrhunderte das, was wir heute als den „europäischen Wertekanon“ bezeichnen – einen Wertekanon, der das geistig – ethische Fundament der europäischen Nationen bildet und zugleich das gemeinsame geistig – kulturelle Erbe der Europäer widerspiegelt. Dieses Erbe ist – Grundkurs Mengenlehre- die gemeinsame geistig- kulturelle Schnittmenge der ansonsten in ihren kulturellen Traditionen sehr facettenreichen europäischen Nationen.

Zu den tragenden Elementen des europäischen Wertekanons zählen die Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Säkularität, Rationalität, Individualismus und der Humanismus. Was leider allzu oft in Vergessenheit gerät: Dieser Wertekanon ist weder vom Himmel gefallen, noch den Europäern angeboren. Im Gegenteil, er ist das Ergebnis einer fast drei Jahrtausende währenden politischen und geistigen Kulturgeschichte, eines von Brüchen und Rückschlägen gezeichneten Zivilisationsprozesses; er ist von Generationen von Europäern unter großen Opfern, nicht selten gegen die eigenen Brüder, erkämpft, errungen und behauptet worden.

Europa war seit dem Mittelalter Schauplatz unzähliger blutiger Bruderkriege um Unabhängigkeit, Selbstbestimmung, aber auch um Macht, Herrschaft und Religion. Krieg galt nicht erst seit Clausewitz als ein probates Mittel zur Fortsetzung der Politik. Kriege und Schlachten scheinen überhaupt das beherrschende Thema europäischer Geschichtsbücher zu sein, die Kenntnis um die entsprechenden Jahreszahlen zum Pflichtprogramm schulischen Geschichtsunterrichtes zu gehören. Ohne Zweifel, die Europäer sind im Verlauf ihrer Geschichte selten friedfertig miteinander umgegangen. Europa war (ist?) das ewige Dilemma von Krieg und Frieden!

Mit den Ursachen hat sich erstmalig vor über 2.000 Jahren der berühmte griechische Arzt Hippokrates (460 – 370 v. Chr.) auseinandergesetzt. Die medischen Kriege, die Auseinandersetzungen zwischen den griechischen Poleis und dem Perserreich im Laufe des 5. Jahrhunderts v. Chr., aus denen die Griechen wiederholt erfolgreich hervorgegangen waren, boten Hippokrates Gelegenheit, sich näher mit den Gegensätzen zwischen Okzident und Orient auseinanderzusetzen. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass der europäische Mensch mutig, aber auch kriegerisch und angriffslustig ist. Für seine Freiheit, so Hippokrates, sei er bereit zu kämpfen, wenn nicht gar sein Leben zu opfern. Das Martialische des Europäers ist, will man der Diagnose des Hippokrates Glauben schenken, quasi genetisch bedingt. Den asiatischen Menschen bezeichnete er im Gegensatz dazu als weise, kultiviert und vor allem friedfertig. Inwieweit die Charakterisierung des Asiaten zutrifft, sei einmal dahingestellt. Dass Hippokrates mit seiner Einschätzung des Europäers nicht so ganz falsch gelegen hat, haben diese im Verlauf ihrer Geschichte immer wieder sehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Kriegerdenkmäler und Soldatenfriedhöfe gehören genauso zum Landschaftsbild Europas wie Kulturdenkmäler, worin sich auch eine dem Europäischen innewohnende Ambivalenz ausdrückt. Legen letztere Zeugnis dafür ab, dass Europa stets auch ein Ort des Geistes und der Kultur war, legen die erstgenannten Zeugnis ab für die den Europäern über Jahrhunderte abgehende Kreativität und Einsichtsfähigkeit in puncto Verwirklichung politischer Einheit und friedlicher Koexistenz. Denn aller Sehnsucht zum Trotz, den „ewigen Frieden“ hat keines der unzähligen Friedensabkommen im Laufe der Geschichte den Europäern auch nur annähernd gebracht. Im Gegenteil, vielfach haben sie die Zündschnur für neuerliche Konflikte gelegt.

All´ dieser Erfahrung zum Trotz prophezeit der französische Philosoph und Schriftsteller Victor Hugo (1802-18859 jedoch zu Beginn des 19.Jahrhundert: „Der Tag wird kommen, an dem du Frankreich, du Russland, Italien, England, Deutschland, ihr alle, die Nationen des Kontinents, ohne eure unterschiedlichen Eigenschaften und ruhmreiche Individualität zu verlieren, euch zu einer höheren Einheit vereinigen und ihr die europäische Brüderlichkeit errichten werdet, genauso wie die Normandie, die Bretagne, Burgund, Lothringen, Elsass, alle unsere Provinzen sich in Frankreich zusammengeschlossen haben. Der Tag wird kommen, an dem die Kugeln und Bomben durch die Abstimmung, durch das allgemeine Wahlrecht der Völker, durch das wirkliche Schiedsgericht eines großen souveränen Senats ersetzt werden, der in Europa das sein wird, was in England das Parlament, in Deutschland der Reichstag, in Frankreich die gesetzgebende Körperschaft ist.“

Streicht man Russland aus dieser Aufzählung, ersetzt man „höhere Einheit“ durch „Europäische Union“ und „Schiedsgericht eines großen souveränen Senats“ durch „Europäisches Parlament“, so beweist sich einmal mehr die Richtigkeit des ebenfalls von Victor Hugo stammenden Satzes: „Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist!“

Was aber ist die Idee, deren Zeit am 9. Mai 1950 gekommen war und die so stark ist, dass heute, 65 Jahre danach, über 500 Millionen Europäer aus 28 Nationen friedlich vereint als Bürger der Europäischen Union zusammenleben können?

Im Kern bedeutet Europa als Idee nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Idee eines gesellschaftlichen und politischen Ordnungsmodells, das die europäischen Nationen unter dem Dach einer gemeinsamen Rechts- und Werteordnung, in deren Zentrum die universellen Menschenrechte stehen, vereinigt.

Das höchste Ziel der rationalen Politik ist die Vereinigung der Nationen unter dem Rechtsgesetz“, davon war schon der im Jahr der französischen Revolution (1789) geborene deutsche Wirtschaftstheoretiker Friedrich List überzeugt.

Mithin: Die Einheit Europas, die Vereinigung der Völker mit der geistigen und kulturellen Kraft des Rechts zu verbinden, das ist der eigentliche Wesenskern dessen, was man gemeinhin als „Idee Europa“ bezeichnet. Anti-europäisch war (ist) die Idee, die Einheit Europas durch das Recht des Stärkeren zu erzwingen – europäisch ist die Idee, die Einheit Europas mit der Stärke des Rechts zu verbinden.

In welcher Form dies geschieht, sei es in Gestalt von „Vereinigten Staaten von Europa“ einer „Europäischen Föderation“ (wie es in der Schuman- Erklärung heißt), oder eben in Gestalt eines bisher in der Welt einmaligen Models, das sich „Europäische Union“ nennt, ist nicht die alles entscheidende Frage. Letztendlich ist die Form allein dem Gebot unterworfen, dem Zweck der Einheit Europas und der friedlich und freiheitlichen Koexistenz der Europäer zu dienen. Hier mögen die Worte des französischen Publizisten und Historikers Alexis de Tocquille beruhigend wirken, der bei seinem Versuch, Mitte des 19. Jahrhunderts seinen Landsleuten die amerikanische Regierungsform erklären zu wollen, erkennen musste: „Der menschliche Verstand erfindet leichter Neues als neue Worte!“

Warum aber kann nur eine gemeinsame Rechtsordnung (und Werteordnung) das Ferment für die Vereinigung der europäischen Völker in Frieden und Freiheit?

Frieden und Freiheit bedingen Einheit. Einheit bedingt Gleichheit. Rechtseinheit und Rechtsgleichheit sind untrennbar miteinander verknüpft. Die Gleichheit vor dem Gesetz bildet das Fundament einer jeden Rechtsordnung, deren Bezugsrahmen die universellen Menschenrechte sind. Also kann die für die Einheit der Europäer notwendige Gleichheit und Gleichberechtigung nur im Wege einer gemeinsamen Rechtsordnung hergestellt werden. Rechts- und Werteordnung sind gleichermaßen miteinander verwoben. Das Recht, die Rechtsordnung und das Rechtsverständnis sind Ausdruck der Werte und des Werteverständnis einer Gesellschaft.

Die Menschenrechte sind Ausdruck des Europäischen. Sie bilden damit geradezu zwingend den Bezugsrahmen für ein politisches und gesellschaftliches Ordnungsmodell im Sinne der Idee Europa und dessen Legitimationsgrundlage!

Europa ist kein Ort, sondern eine Idee- eine Kategorie des Geistes, nicht des Seins“, hat der französische Philosoph Bernhard Lévy gesagt. Lassen wir einmal außer Acht, dass Europa als der zweitkleinste Kontinent der Erde auch ein Ort ist, was Levy sicherlich nicht in Abrede stellen wollte, so ist Europa zweifelsohne eine Kategorie des Geistes. Abgesehen von der griechischen – römischen Antike verdankt Europa diesen Nimbus insbesondere der Epoche der Aufklärung und den sie prägenden Philosophen, wie, um nur einige zu nennen, John Locke (1632- 1704), Jean- Jacques Rousseau (1712- 1778) und nicht zu vergessen Immanuel Kant (1724-1804). Sie und andere Intellektuelle jener Zeit haben sich inspirieren lassen von der Idee der Gleichheit und Gleichberechtigung der Menschen (vor dem Gesetz). Während sich John Locke bei seinen staatsphilosophischen Überlegungen auf Aristoteles stützte, diente Jean- Jaques Rousseau der antike griechische Philosoph Platon als Inspirationsquelle. Es würde wahrlich den Rahmen sprengen, sich an dieser Stelle mit Einzelheiten und der möglichen Abgrenzung der jeweiligen Philosophie auseinanderzusetzen. Dazu sind andere auch eher berufen. Deshalb sei nur so viel festgehalten: John Locke gilt als Pionier der Menschenrechte, der Meinungsfreiheit und der Toleranz. Mit seinem 1689 erschienen Werk „Two Treatises on Government“ hat er die von Thomas Jefferson formulierte amerikanische Unabhängigkeitserklärung maßgeblich beeinflusst, mehr aber noch die am 26. August 1789 im Zuge der Französischen Revolution verkündete „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“.

Zum eigentlichen, wenn auch unfreiwilligen, weil bei ihrem Ausbruch bereits 11 Jahre tot, Chefideologen der Französischen Revolution wurde jedoch Jean- Jacques Rousseau, indem die Anführer der Revolution, allen voran Robespierre, sein Werk „Contrat Social“ (Der Gesellschaftsvertrag) und die darin enthaltenen Gedanken und Visionen Rousseaus zu einer Art Glaubensbekenntnis erhoben. Man muss wissen, dass dieses Werk bei seinem Erscheinen in Frankreich, den Niederlanden und in der Schweiz verboten worden war.

„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ (liberté, égalité, fraternité) hatten die Revolutionäre bei Rousseau gelesen. Dennoch muss bezweifelt werden, dass sich Rousseau mit der Revolution identifiziert hätte. Er selbst hat weder zur Revolte angestiftet, noch hätte er eine Revolution als probates Mittel zur Durchsetzung seines politischen Weltbildes akzeptiert.

Trotz seiner Forderung nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit avancierte Rousseau übrigens nicht unbedingt zum „Aristokraten -Schreck“. Im Gegenteil, wie folgende kleine Episode belegt. Zu seinen glühenden Verehrerinnen, mehr noch seiner Philosophie des „Zurück zur Natur“ war keine geringere als Marie Antoinette, die französische Königin. Sie soll von den Werken Rousseaus beflügelt das Leben im Einklang mit der Natur für sich entdeckt und sich als nährende Mutter inszeniert haben. Das in einer Zeit, in der normalerweise keine Frau der gehobenen Kreise auf die Idee gekommen wäre, ihren Kindern die Brust zu geben. Rousseau hatte aber das Stillen gesellschaftsfähig gemacht. Daher hatte die französische Königin den pittoresken Einfall, ihren Gästen im Park von Versailles Milch aus Porzellantassen zu kredenzen, die der Form ihrer Brüste nachgebildet waren. Von derart rousseauischem Geist beseelt, pilgerte sie auch zum Grab ihres berühmten Landsmannes in Genf. Man darf wohl annehmen, ihre Verehrung für den Philosophen wäre etwas weniger groß gewesen, hätte sie geahnt, dass sie eines Tages durch das Fallbeil eines gleichfalls vom rousseauischen Gedankengut inspirierten Henker ihres Hauptes verlustig wird.

Mehr noch als Rousseau gilt Francois- Marie Arouet, besser bekannt unter dem Namen Voltaire (1694 – 1778), den Franzosen als geistiger Wegbereiter der Revolution und als Verkörperung der französischen Aufklärung. Voltaire war für seine Zeitgenossen der große Vorkämpfer für Vernunft, Toleranz und Menschenrechte. Auf seinen Sarg schrieb man: „Er verlieh dem Menschengeist starke Impulse, er bereitete uns auf die Freiheit vor.“ Anders als für Rousseau war für Voltaire die Revolution unausweichlich, auch wenn, wie er einmal gesagt haben soll, nicht mehr das Vergnügen haben werde, sie zu erleben. Er sollte damit recht behalten.

Beider sterblichen Überreste ließen die Revolutionäre in das Pantheon von Paris überführen.

Ohne dies hier weiter vertiefen zu wollen: Die enge, vielleicht sogar als zumindest in den Anfangsjahren als freundschaftlich zu bezeichnende Beziehung zwischen Voltaire und dem Preußenkönig Friedrich dem Großen, vor allem aber sein Einfluss auf dessen politisches Denken und Handeln, widerlegt eine andere Mär, nämlich die von der Jahrhunderte alten Erbfeindschaft zwischen Deutschen und Franzosen.

Werden mit der Französischen Revolution auch die Menschenrechte im Laufe der Zeit geistiges Allgemeingut in Europa, so fehlt es den Europäern, um den Ausspruch von Friedrich List noch einmal aufzunehmen, an der notwendigen Ein- und Weitsicht, zu erkennen, dass das höchste Ziel der rationalen Politik die Vereinigung der Nationen unter dem Rechtsgesetz ist.

Im Geiste der Französischen Revolution erfinden die Europäer ein ganz anderes politisches und gesellschaftliches Ordnungsmodell – den Nationalstaat. Man mag mir die Pauschalierung nachsehen. Aber, dass die Entstehung von Nationalstaaten in Europa in weiten Teilen von der Französischen Revolution geprägt und begünstigt worden ist, scheint bei Historikern unstreitig.

Europa als ein Konglomerat von Nationalstaaten ist eine Erscheinungsform, die sich weitestgehend erst im 19. Jahrhundert herausgebildet hat. Mithin, der europäische Nationalstaat ist, man mag es kaum glauben, eine relativ junge Institution. Zum Ende des Mittelalters wäre es undenkbar gewesen, dass sich die Menschen einmal in der Ideologie des Nationalstaates verbinden.

Wenn uns in der gerade wieder kontrovers geführten Debatte um Europa die selbsternannten „Europa- Gegner“, glauben machen wollen, der Nationalstaat sei die einzige gültige Verwirklichung politischer Einheit und das unveränderliche Maß aller politischen Dinge, so ist dem entgegenzuhalten: Der Nationalstaat entspringt weder einer natürlichen, noch einer göttlichen Ordnung.

Es ist ein Mythos, dass der Nationalstaat eine natürliche, geradezu harmonische Symbiose aus einer Nation, verstanden als ein Kollektiv von Menschen mit einer gemeinsamen Sprache, gemeinsamen kulturellen Traditionen und Abstammung, und der politischen Institution Staat darstellt. Ist auch die Genese der europäischen Nationalstaaten keinem einheitlichen Muster gefolgt, so steht eines jedoch fest: Er ist in nicht wenigen Fällen das Produkt politischer und wirtschaftlicher Eliten im Streben um Macht, Einfluss und Profite gewesen.

 

Um ein Beispiel zu nennen: Im Revolutionsjahr 1789 sprachen weniger als 50 % der Einwohner Frankreichs Französisch und nur 12 – 13 % sprachen es korrekt. Im Norden und Süden Frankreichs wurde nahezu kein Französisch gesprochen. Von einer gemeinsamen Sprache als kennzeichnendes Symbol einer Nation konnte also bei der Gründung des Nationalstaates Frankreich (noch) keine Rede sein. Nicht viel anders sah es bei der Gründung Italiens im Jahre 1861 aus. Lediglich 2,5 % der Bevölkerung waren des Italienischen mächtig oder bedienten sich dieser Sprache, was den Premier des Piemonts, Massimo d´Azeglio zu der Feststellung veranlasste: „Wir haben Italien geschaffen, jetzt müssen wir nur noch Italiener schaffen!“

Wie schwer dies den Italienern gefallen ist, beweisen Studien aus den frühen 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Danach sprach nicht einmal jeder fünfte erwachsene Italiener ausschließlich Italienisch. Viele Italiener identifizierten sich in erster Linie mit ihrer Region und sprachen deren Dialekt.

Nicht wenige europäische Nationalstaaten sind in Wahrheit „Multinationalstaaten“. Das Königreich Belgien in der Zusammensetzung von Flamen, Wallonen und der deutschsprachigen Minderheit im Osten legt hierfür ein beredtes Zeugnis ab. Seit 1830 ist Belgien ein souveräner Nationalstaat, eine belgische Nation hat es, wie der flämische Dichter René de Clerq (1877- 1932) bemerkt, nie gegeben: „Es gibt einen belgischen König, ein belgisches Theater, eine belgische Flagge, ein belgisches Lied, aber Belgier, die gibt es nicht“. Ähnlich liest es sich in einem Brief des wallonischen Politikers Jules Destrée an König Albert I. aus dem Jahre 1912: „Sire, Sie regieren über zwei Völker. Es gibt in Belgien Wallonen und Flamen. Es gibt keine Belgier“.

Man muss aber gar nicht so weit in die Geschichte zurück gehen, um festzustellen, dass es sich bei dem Nationalstaat eben nicht um ein natürliches Phänomen handelt. Nach dem Fall der Mauer im Jahre 1989 sind in Europa und in seiner Peripherie 23 neue Nationalstaaten entstanden, in denen sich erhebliche Minderheitsprobleme auftun, Probleme die durchaus Sprengkraft besitzen.

Aktuell sind es die Basken, die Katalanen und die Schotten, die den Mythos von der natürlichen, geradezu harmonischen Symbiose aus der Nation und dem Staat als charakteristisches Merkmal des europäischen Nationalstaates widerlegen. Es kommt also nicht von ungefähr, wenn der Nationalstaat nicht nur von Philosophen eher als eine imaginäre Gemeinschaft, oder wie von Jeremy Rifkin in seinem Buch „Der Europäische Traum“ als ein „artifizielles Konstrukt“ bezeichnet und wahrgenommen wird.

Eine entscheidende Herausforderung bei der Bildung von Nationalstaaten als Werk politischer und wirtschaftlicher Eliten bestand darin, die emotionale Unterstützung der „normalen“ Bürger für die gemeinschaftlichen Aufgaben zu erlangen, zu denen die Entrichtung von Steuern genauso gehörte wie die Verteidigung des Landes unter Einsatz von Leib und Leben. Zwingend notwendig war daher die Schaffung einer kollektiven, d.h. „nationalen“ Identität. Zu der Frage, wie es gelingen konnte, Millionen gerade durch die Epoche der Aufklärung emanzipierte Individuen dazu zu bringen, einen Teil ihrer Autonomie und Freiheit zugunsten des Staates als politischem Ordnungsmodell aufzugeben, bemerkt Jeremy Rifkin: Die Lösung fand sich in Form einer packenden Geschichte über eine gemeinsame Vergangenheit, die die Fantasie der Menschen beschäftigte und sie von ihrer gemeinsamen Identität und Bestimmung überzeugte. Alle Nationalstaaten schufen sich Ursprungsmythen mit Helden und Heldinnen und schweren Prüfungen und Leiden, deren man oft mit elaborierten Ritualen gedachte. In der zunehmend säkularen Welt musste der Nationalstaat dem Volk ein neues Leitbild geben: eine hehre Vergangenheit und die Bestimmung zu künftiger Größe. Ein einziger homogener Nationalmythos erforderte die oft rücksichtslose Unterdrückung all der jahrhundertealten lokalen Geschichten und Traditionen. Wozu auch die Einführung einer einzigen, dominanten Sprache zählte, damit die Menschen miteinander kommunizieren konnten. Dafür bedurfte es wiederum eines nationalen Bildungssystems, das die Bildungsinhalte standardisierte. So lernte fortan jede Generation von Schulkindern dieselben Inhalte auf dieselbe Weise in einer gemeinsamen Sprache und bald glaubten die Leute, dass sie tatsächlich Teil einer gemeinsamen Geschichte und einer gemeinsamen Bestimmung seien.

Nun mögen Historiker kritisch anmerken, die Entwicklung von nationalen Identitäten sei von weitaus komplexerer Natur gewesen, als es die Darstellung Rifkins wiedergibt. Gleichwohl, im Kern dürfte der Darstellung nicht zu widersprechen sein.

Mit der Idee des Nationalstaates untrennbar verbunden ist die Ideologie des Nationalismus,  gleichsam eine Folge der Französischen Revolution.

Als Ideologie dient der Nationalismus zur Legitimation der Herstellung und Konsolidierung eines souveränen Nationalstaates und als Mittel zur bewussten Identifizierung und Solidarisierung der Bürger mit dem Staat. Für den deutschen Historiker Otto Dann ist der Nationalismus nur ein anderes Wort für nationalen Egoismus, der die Interessen der eigenen Nation überhöht.

Für den Philosophen und Kulturanthropologen Ernest Gellner ist Nationalismus die Erfindung von Nationen, wo es sie vorher nicht gab (imagined communities): „Nationalismus ist eine Form des politischen Denkens, die auf der Annahme beruht, dass soziale Bindungen von kultureller Übereinstimmung abhängt. Deshalb sind Nationalisten bestrebt, die politischen Grenzen der Nationalstaaten mit den von ihnen definierten kulturellen Grenzen in Übereinstimmung zu bringen.“

Für den österreichisch- britischen Philosophen Sir Karl Raimund Popper ist der Nationalismus „ein Relikt eines ur- instinktiven Gefühls der Stammeszugehörigkeit, dominiert von Leidenschaft und Vorurteilen- ein nostalgisches Verlangen nach dem Ersatz von individueller durch kollektive Verantwortung“. Popper zählt zu denjenigen, die im Nationalstaat deshalb nur ein artifizielles Konstrukt sehen, einen Mythos, der durch nichts zu rechtfertigen ist, sondern lediglich eine irrationale und romantische Utopie darstellt– „ein Traum von Naturalismus und kollektivistischer Stammeszugehörigkeit.“

Wie dem auch sei, wohin der Nationalismus in seiner extremen Ausprägung führt, hat die europäische Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eindrucksvoll vor Augen geführt. Die Überhöhung der eigenen Nation wurde zur Legitimierung des Imperialismus, der Herrschaft über andere Völker, und der Ausgrenzung, bis hin zur Vernichtung und Vertreibung ethnischer Minderheiten. Die Bilder von Auschwitz und anderen Konzentrations- und Vernichtungslagern sind mahnende Erinnerung.

Ebenfalls untrennbar mit dem Nationalstaat verbunden ist das Dogma der nationalen Souveränität, also der Anspruch, die inneren Angelegenheiten in völliger Unabhängigkeit von äußeren Einwirkungen zu gestalten und eine auf den Eigennutz, die „nationalen Interessen“, ausgerichtete Außenpolitik – notfalls mit militärischen Mitteln – zu betreiben.

Gibt es überhaupt so etwas wie ein originäres Interesse einer Nation? Vor allem aber: Wer definiert das nationale Interesse allgemein oder im konkreten Einzelfall?

Das nationale Interesse ist zuvorderst das, was politische Entscheidungsprozesse, insbesondere außenpolitisch, motivieren und legitimieren soll. Damit ergibt sich zwangsläufig, dass die Definitions- und Deutungshoheit bei der Regierung als dem demokratisch legitimierten Repräsentanten der Bürger, der Nation liegt. Womit ein Missbrauch der Definitionsgewalt nicht ausgeschlossen ist.

Andererseits: Das nationale Interesse ist durchaus unterschiedlichen Interpretationen zugänglich. Wenn Opposition und Medien politische Entscheidungen der Regierung kritisieren, impliziert das nichts anderes als: Wenn wir an der Regierung wären, also die Definitionsgewalt hätten, würden wir das „nationale Interesse“ anders bestimmen.

Wie flexibel sich manchmal eine Regierung in der Definition des nationalen Interesses erweist, gerade wenn es um Europa geht, dafür liefert die nachfolgend geschilderte Begebenheit stellvertretend für viele ähnlich gelagerte Fälle einen Beleg.

Es ist der 25. Juni 1999. In Brüssel tagt der Rat in der Zusammensetzung der nationalen Umweltminister. Auf der Tagesordnung steht u. a. die Verabschiedung der sog. Altauto- Richtlinie. Diese sieht die gesetzliche Verpflichtung der Automobilindustrie vor, zukünftig Schrottautos kostenlos und umweltfreundlich zu entsorgen. Das klingt vernünftig und es überrascht eigentlich nicht, dass die in Deutschland regierende Rot- Grüne Koalition sich für das Zustandekommen in jüngster Zeit besonders stark gemacht hat. Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind für diese Regierungskoalition im nationalen Interesse, wie immer wieder betont wird. Die Richtlinie, über deren Inhalt in den vorausgegangenen Monaten sehr kontrovers diskutiert worden ist, soll also an diesem Tag „durchgewinkt“ werden. Soll heißen: Ohne weitere Debatte beschlossen werden. Doch es kommt anders.

Wenige Tage zuvor hatte der deutsche Kanzler Gerhard Schröder, den später der Nimbus „Kanzler der Bosse“ schmückt, einen Anruf von Ferdinand Piech, seines Zeichens Chef des größten deutschen Automobilherstellers (VW) erhalten, der ihm glaubhaft machen konnte (ob zu Recht, sei einmal dahingestellt), dass mit dieser Richtlinie Kosten in Milliardenhöhe auf die Industrie zukommen würden.

Nach diesem Anruf erhält der deutsche Umweltminister Jürgen Trittin vom Kanzler den Auftrag, alles zu unternehmen, um die Verabschiedung der Richtlinie zu verhindern. Trotz des massiven und lautstarken Protestes seiner Kollegen aus den anderen Mitgliedstaaten gelingt es Trittin unter Mithilfe des britischen und spanischen Amtskollegen, den Auftrag wunschgemäß auszuführen. Was man noch hinzufügen sollte: Die britische Firma Rover und die spanische Firma SEAT gehörten zu diesem Zeitpunkt ebenfalls zum VW- Konzern.

Zu Hause wurde das Scheitern der Richtlinie gegenüber der Öffentlichkeit sinngemäß als ein Sieg im Kampf um das nationale Interesse Deutschlands verkauft. Es ist also durchaus Misstrauen angesagt, wenn Politiker mit dem „nationalen Interesse“ argumentieren.

 

Die Ideologie des Nationalismus und das Dogma der nationalen Souveränität machen den Nationalstaat zu einem politischen und gesellschaftlichen Ordnungsmodell, dem das Prinzip der Ab – und Ausgrenzung zugrunde liegt.

Abgrenzung deshalb, weil sich der Nationalstaat geografisch definiert, der Staat als politische Institution seine Legitimation aus dem ihm gehörenden Territorium ableitet, auf dem er das Gewaltmonopol zur Durchsetzung der von ihm selbst geschaffenen Gesetze inne hat. Mit seiner eigenen Rechtsordnung grenzt er sich von dem Nachbarstaat ab. Deutlich sichtbarer Ausdruck dieses Prinzips der Abgrenzung sind die zwischenstaatlichen Grenzen, die zur exakten Definition des räumlichen Geltungsbereiches der staatlichen Rechtsordnung dienen; Grenzen, die im Verlauf der Geschichte nicht selten auch Ausdruck unversöhnlicher Feindschaft waren; Grenzen, zu deren Verteidigung im Bedarfsfalle auf militärische Mittel zurückgegriffen wurde und bei deren Überschreiten man sich besonderer Kontrollen zu unterziehen hat.

Ausgrenzung deshalb, weil jeder Staat auf der Grundlage seiner Rechtsordnung einen bestimmten Kreis von Menschen als seine Staatsangehörige qualifiziert und alle anderen als Ausländer oder Fremde ansieht, mit der Konsequenz, dass beide Gruppen rechtlich ungleich behandelt werden (Stichwort: Ausländerdiskriminierung). Der Staat behält bestimmte Rechte seinen Staatsangehörigen vor oder unterwirft Fremde einem Sonderrecht. Den Status des Staatsbürgers und damit auch die Möglichkeit der Teilhabe am öffentlichen und politischen Leben an seinem Wohnort, d.h. seine Einbürgerung kann der Ausländer/ Fremde nur durch einen vom Willen der staatlichen Behörden abhängenden Akt der Verleihung erlangen – einer Art „Gnadenakt“.

Nun sind die Unterscheidung zwischen Einheimischen oder Zugehörigen auf der einen Seite und Ausländern oder Fremden auf der anderen Seite sowie die Ungleichbehandlung beider Gruppen nicht erst eine „Erfindung“ der Nationalstaaten. Solches hat es schon in unterschiedlicher Ausprägung in früheren Epochen gegeben, doch ist das Ausmaß des Diskriminierungseffektes, wie wir ihn heute kennen, ein Produkt der Nationalstaatsidee.

Wer kennt ihn nicht, den Slogan: „Irgendwo ist jeder Ausländer!“

Bei genauerer Betrachtung muss es eigentlich heißen: Wir sind, von einer Ausnahme abgesehen, überall Ausländer!

Und genau an diesem Punkt offenbart sich der Gegensatz von Nationalstaat und Europa als politische und gesellschaftliche Ordnungsmodelle. Wenn mit Europa als politischem und gesellschaftlichem Ordnungsmodell eine gemeinsame, die europäischen Nationen überspannende Rechtsordnung verbunden ist, so betont dies den Individualismus im Sinne der Aufklärung und bedeutet die Gleichberechtigung und Gleichheit aller unter diesem Dach lebenden Europäer unabhängig von ihrer jeweiligen nationalen Zugehörigkeit.

Die Idee Europa macht das Individuum zum Protagonisten der europäischen Zivilisation, bei der Idee des Nationalstaates ist es die Nation!

Im philosophischen Sinne bedeutet die Idee Europa den Verzicht der Nation auf das Ausschließliche zugunsten des Gemeinschaftlichen in dem Bewusstsein, dass das „Wir“ (Gemeinschaft) Energien (Gestaltungskraft) erzeugen kann, die das „Ich“ (Nation) alleine nicht erzeugt. Die Gestaltungskraft nach außen und nach innen gründet nicht auf Autonomie, sondern auf Eingebundensein! „Verbunden werden auch die Schwachen mächtig“, hatte schon der deutsche Dichter Friedrich Schiller erkannt.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit war der Schlachtruf der Französischen Revolution. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ist das, worauf Europa als Idee gründet.

Heute ist diese Idee Europa für über 500 Millionen Menschen Teil ihrer Lebenswirklichkeit. Mit der Europäischen Union ist ein Gemeinwesen entstanden, in dem die Bürgerinnen und Bürger aus 28 Staaten in Frieden und Freiheit als gleichberechtigte Unionsbürger zusammenleben. Den Grundstein hierfür haben am 9. Mai 1950 Robert Schuman, Jean Monnet und Konrad Adenauer gelegt.