Kommt die EU-Armee?
Impulsvortrag im Rahmen der „Donnersberger Gespräche“ am 17. Oktober 2019
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren
Ich bin eingeladen, Ihnen eine Antwort auf die Frage zu geben, ob die EU – Armee kommt. Ob ich dieser Aufgabe gewachsen bin, wage ich zu bezweifeln. Zumindest stehe ich nicht mit höheren Mächten im Bund, die mich in die Zukunft blicken lassen.
I.
Um überhaupt in die Nähe einer Antwort zu kommen, muss zunächst die Frage lauten: „DIE“ oder „EINE“ Armee? Von was sprechen wir?
Das ist keine Semantik. Im Gegenteil:
EINE EU- Armee: Schaffung einer neuen militärischen Einheit unter dem Label “EU“ als Ergänzung zu den bereits bestehenden27 /28 nationalen Armeen.
Im Ergebnis haben wir dann 28 / 29 Armeen in der EU.
Ich fürchte, darauf könnte es hinauslaufen, wenn man die aktuelle Debatte verfolgt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen hierfür gibt der EU- Vertrag nach meiner Einschätzung durchaus her.
Ob das aber der Weisheit letzter Schluss ist, wage ich sehr zu bezweifeln. Es würde die sicherheitspolitische Landschaft in der EU nur noch mehr verkomplizieren und vor allem für den Bürger noch intransparenter machen als sie eh schon ist.
Ich weiß deshalb nicht, was der französische Präsident Emanuel Macron meint, wenn er von einer „wahren“ EU- Armee spricht, die jetzt kommen muss und für die er auch ein eigenes Budget fordert.
Merkwürdig mutet für mich dagegen der Beitrag von Angela Merkel zu dieser Debatte an. Für sie, so hat sie wiederholt betont, würde eine gemeinsame europäische Armee der Welt zeigen, dass es zwischen den europäischen Ländern nie wieder Krieg gibt. Wenn es dafür erst der Schaffung der europäischen Armee bedarf, dann haben wir in den vergangenen 70 Jahren etwas falsch gemacht. Oder aber Frau Merkel hat irgendetwas nicht mitbekommen.
Zurück zu unserer Fragestellung.
Wenn wir aber nach DER EU- Armee fragen, ist etwas anderes gemeint.
Dann haben wir das Bild vor Augen: alle bisherigen nationalen militärischen Einheiten und Ressourcen werden unter dem Dach eines einzigen militärischen Oberkommando und in der politischen Verantwortung von EU-Institutionen zusammengefasst. Kurzum: Aus 27, ggfls. doch 28 nationalen Armeen wird eine einzige!
Das ist in meinen Augen das Szenario, wenn wir von der Schaffung „DER EU-Armee“ sprechen.
Ja, diese EU-Armee wird kommen; ….
jedoch nur dann, wenn Politik und Vernunft die gleichen Wege gehen: Und genau das ist der Haken an der Sache: Wie wir aus der Geschichte wissen und wie wir es aktuell nahezu Tag täglich erfahren: Politik und Vernunft gehen viel zu selten die gleichen Wege. Wenn sie es denn dann doch tun, dann sind die nicht selten Sternstunden der Menschheit!
Dass die Schaffung DER EU-Armee im Sinne der vorstehenden Definition ein Gebot der Vernunft ist, lässt sich leicht anhand weniger Zahlen belegen.
Die jährlichen Ausgaben aller EU-Mitgliedstaaten für Verteidigung belaufen sich in Summe auf ca. 230 Mrd. Euro. Das entspricht in etwa dem dreifachen des russischen Verteidigungsetats.
In der EU gibt es 17 verschiedene Arten von Kampfpanzern. Zum Vergleich: Russland verfügt über 8 Typen und die USA verwenden nur einen Kampfpanzertyp.
In der EU kommen 20 verschiedene Typen von Kampfflugzeugen zum Einsatz (zumindest theoretisch). In den USA sind es 11, in Russland 9.
Der Katalog ließe sich noch sehr weit fortführen. Diese Zersplitterung führt nicht nur zur politischen Ohnmacht, sondern auch zu ökonomischer Fehlallokation.
Vielleicht noch eine letzte Zahl, die das Dilemma offenkundig macht. Im Jahr 2.000 machten die 1,9 Millionen europäischen Soldaten 150 % der Mannstärke der US- Truppen aus, die Effektivität der europäischen Armeen im Verhältnis zu den USA betrug jedoch nur 15%.
Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser Vielfalt an militärischen Ressourcen in der EU kann man sich des Eindrucks nicht erwehren: Die Armeen der EU-Staaten sind dafür da, den Feind so lange an der Grenze aufzuhalten, bis Militär kommt. Ich bitte, diese Überspitzung in diesem Kreis hier zu entschuldigen und Sie wollen wohlwollend zur Kenntnis zu nehmen, dass ich von den europäischen Armeen gesprochen habe und nicht nur von der deutschen Bundeswehr, die es bekanntlich schon als Erfolg feiert, wenn sie gleichzeitig zwei Maschinen der Flugbereitschaft in die Luft bekommt.
Manche von Ihnen werden sich erinnern: Vor 57 Jahren, am 10. Oktober 1962 hat das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel mit seiner unter dem Titel „bedingt verteidigungsbereit“ erschienen Zustandsbeschreibung der Bundeswehr ein politisches Erdbeben ausgelöst. Von Landesverrat und vom Verrat militärischer Geheimnisse war da die Rede. Heute gehört es dagegen zum gefestigten Allgemeinwissen, dass die Bundeswehr ihrem Verteidigungsauftrag im Ernstfall nur bedingt gerecht werden kann. Das gilt aber eben nicht nur für sie, sondern ist ein EU-weites Phänomen.
Fazit: Die EU-Armee ist dringend notwendig! Da beißt keine Maus den berühmten Faden ab.
Wie und unter welchen Bedingungen sie möglich ist, dazu später mehr.
Meine Damen und Herren,
In puncto „EU-Armee“ war Europa schon einmal sehr viel weiter. Nur hatte das Projekt einen anderen Namen: Europäische Verteidigungsgemeinschaft!
II.
Folgen Sie mir bitte auf eine Zeitreise in die 1950 er Jahre hin zu den Anfängen des europäischen Einigungsprozesses und damit zu den Ursprüngen unserer heutigen EU.
Wir befinden uns im Sommer des Jahres 1950. Der II. Weltkrieg ist erst fünf Jahre zuvor zu Ende gegangen.
Am 9.Mai hat der französische Außenminister Robert Schuman die Weltöffentlichkeit mit seinem Vorschlag überrascht, die Kohle- und Stahlproduktion der einstigen Erbfeinde Frankreich und Deutschlands, aber auch der anderen west- europäischen Staaten dem nationalen Zugriff zu entziehen und im europäischen Schoß zusammenzulegen. Dafür sah sein Plan die Schaffung von gemeinsamen supranationalen Institutionen, allen voran die „Hohe Behörde“ vor, die zukünftig statt der nationalen Regierungen die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für diesen Sektor schaffen. Wir sprechen seither vom „Schuman- Plan“. Was übrigens verkennt, dass der eigentliche Urheber und Autor dieses Planes Jean Monnet war. Das gilt genauso für den „Pleven-Plan“, von dem gleich noch die Rede sein wird.
Am 18. April 1951 haben Frankreich, Deutschland, Italien und die Benelux- Länder die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl gegründet.
Wenn Sie so wollen, ist diese Erklärung Schumans vom 9. Mai 1950 die Geburtsurkunde unserer heutigen EU.
Nicht mit der EWG wurde der Grundstein gelegt, sondern mit der EGKS.
Im Prinzip, auch diese Bemerkung möchte ich noch hinzufügen, ist das, was hier auf den Weg gebracht und in den vergangenen 70 Jahren teilweise sehr holprig und auch nicht immer zielführend umgesetzt worden ist, eine Revolution. Der souveräne Nationalstaat, der seit dem 19. Jahrhundert Europa geprägt hat, wird durch ein neues politisches System ersetzt. Auf das Stichwort „Föderation“ komme ich noch zurück.
Ich habe bereits erwähnt, Jean Monnet ist der eigentliche Urheber dieser Erklärung, er ist der „Erfinder Europas“.
In einem 1944 in der amerikanischen Zeitschrift Fortune hatte er seine Vision von dem Nachkriegseuropa skizziert.
Es wird keinen Frieden in Europa geben, wenn die Staaten auf der Basis nationaler Souveränität
wieder hergestellt werden, mit all dem, was eine Politik des Machtstrebens und wirtschaftliche Protektion mit sich bringt. …
Die Länder Europas sind zu klein, um ihren Völkern den Wohlstand zu sichern, …
Dieser Wohlstand und die unerlässlichen sozialen Entwicklungen setzen voraus, dass die Staaten Europas sich zu einer Föderation zusammenschließen…
Aber dies setzt voraus, dass Europa geeint ist, und zwar nicht nur in einer Kooperation, sondern durch eine von den europäischen Nationen gebilligten Übertragung von Souveränitäten auf eine Art zentrale Union, …
Nun werden Sie vielleicht fragen, was das mit der EU- Armee zu tun hat.
Die Beratungen zur Gründung der EGKS im Sommer 1950 waren überschattet von Koreakrieg. Und damit kam plötzlich auch die Frage einer Wiederbewaffnung Deutschlands auf die politische Agenda.
Wie wenig Freude diese Möglichkeit vor allem bei den Franzosen so kurz nach dem II. Weltkrieg ausgelöst hat, können Sie sich vorstellen.
Und damit trat wieder Jean Monnet auf den Plan. Es ist in jener Zeit zu einem geflügelten Wort geworden: Aller Anfang in Europa war Jean Monnet.
Für Monnet war es ein unumstößliches Dogma: Eine gemeinsame Verteidigung ist nur unter einer gemeinsamen politischen Oberhoheit, also im Rahmen einer europäischen Föderation möglich. Und nur hier eingebunden sind deutsche Soldaten denkbar.
Am 14. 10. 1950 formulierte er in einer Note an den französischen Ministerpräsidenten René Pleven den Vorschlag
dass die Lösung des militärischen Aspekts des deutschen Problems im gleichen Geiste und nach der gleichen Methode gesucht werden soll wie bei der Kohle und dem Stahl: Bildung einer europäischen Armee, die in ihrem Kommando, ihrer Organisation, ihrer Ausrüstung und ihrer Finanzierung vereinheitlicht und der Führung eines supranationalen Oberbefehls unterstellt wird (die Integration deutscher Formationen in diesen ursprünglichen Kern soll progressiv erfolgen);
Darauf gründend wurde ein Konzept entwickelt, in dem erstmals von einem europäischen Verteidigungsminister die Rede war, der einem Parlament und einem Ministerrat gegenüber rechenschaftspflichtig sein sollte. Gebildet werden sollte die europäische Armee aus Soldaten aller beteiligten Nationen.
Dieses Konzept griff Pleven auf, wenn auch in etwas abgewandelter Form. Seither spricht man vom „Pleven-Plan“, wenn es um die Ursprünge der europäischen Verteidigung geht.
Am 27. Mai 1952 kam es nach äußerst schwierigen und kontroversen Verhandlungen in Paris zur Unterzeichnung der Gründungsverträge für eine Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG).
Zweck und Zielsetzung waren in der Präambel des Vertrages festgeschrieben:
- Die Verteidigung Westeuropas gegen jeden Angriff zu sichern,
- Menschen und Hilfsquellen, soweit das mit den militärischen Erfordernissen verträglich ist, in gemeinsamen Verteidigungsstreitkräften im Rahmen einer überstaatlichen europäischen Organisation völlig zu verschmelzen
- die Entwicklung ihrer Wehrkraft zu sichern, ohne den sozialen Fortschritt zu beeinträchtigen,
- in der Überzeugung, dass eine gemeinsame Streitmacht, die ohne unterschiedliche Behandlung der beteiligten Staaten gebildet wird, die Vaterlandsliebe der Völker nicht an Kraft verlieren, sondern sich vielmehr festigen und in erweitertem Rahmen neue Gestalt finden wird.
Die wesentlichen Kernpunkte waren:
- Verzicht der Mitgliedstaaten auf das Souveränitätsrecht der Aufstellung eigener Streitkräfte und die alleinige Entscheidung über deren Einsatz.
- Dazu sollten die Verteidigungskräfte der Mitgliedstaaten, so sie denn bereits bestehen, samt ihrer Hilfsmittel zu einer Einheit verschmolzen werden.
- Gleiche Uniformen
- Die europäische Armee sollte 40 Divisionen a´ 30.000 Mann umfassen und in die NATO integriert werden;
- es war ein eigenes Militärbudget vorgesehen, zu dem die Mitgliedstaaten Beiträge leisten sollten. Aus diesem Budget sollte die Bewaffnung der „europäischen Streitkräfte“ als Gemeinschaftsaufgabe bestritten werden.
Anders als von Jean Monnet im Pleven-Plan vorgesehen, bildete nicht ein gemeinsames Verteidigungsministerium das überstaatliche Element der Gemeinschaft, sondern ein neun Mitglieder umfassendes Kommissariat.
Auch für die Mitglieder des Kommissariats galt wie für die Mitglieder der Hohen Behörde, dass sie bei der Erfüllung ihrer Pflichten weder Anweisungen von einer Regierung einholen noch solche Anweisungen entgegennehmen durften und auch sonst alles zu unterlassen hatten, was mit dem überstaatlichen Charakter ihrer Tätigkeit unvereinbar war. Ernannt werden sollten die Mitglieder von den Regierungen der Mitgliedstaaten.
In seinem politischen Aktionsradius wurde jedoch das Kommissariat, anders als die Hohe Behörde, erheblich eingeschränkt. Das Kommissariat handelte nicht auf der Grundlage ihm übertragener exklusiver Vollmachten, sprich: Souveränität, sondern nach den Vorgaben des Rates.
Den Rat sollten die nationalen Außenminister bilden, die die Richtlinien für die Tätigkeit des Kommissariats einstimmig erlassen sollten. Nur auf dieser Grundlage konnte das Kommissariat Entscheidungen erlassen oder Empfehlungen aussprechen.
Und eben diese Entscheidungen des Kommissariats bedurften wiederum zu ihrer Wirksamkeit der Beschlussfassung durch den Rat, und zwar mit einfacher Mehrheit.
So gesehen bedeutete die Konstruktion eine Mischung aus föderalen und konföderalen Elementen. „Ein juristisches Ungeheuer, weder Fisch noch Fleisch“, hatte ein französischer Abgeordneter deshalb diese Konstruktion genannt.
Die politische Kontrolle über die Tätigkeit des Kommissariats übte die Versammlung aus, die identisch war mit jener der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, lediglich ergänzt durch je drei Abgeordnete der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs und Italiens.
Genauso wie die Hohe Behörde war auch das Kommissariat gegenüber der Versammlung rechenschaftspflichtig. Und auch in diesem Falle hatte die Versammlung das Recht, das Kommissariat per Misstrauensvotum abzulösen.
Was für die Versammlung galt, galt für den Gerichtshof entsprechend. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl war zugleich als der der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft gedacht.
Um es kurz zu machen: Daraus wurde nichts. Der 30. August 1954 wurde zum „schwarzen Tag für Europa“. In der französischen Nationalversammlung wurde das Projekt nicht zuletzt dank der etwas zwielichtigen Rolle des jetzt amtierenden Präsidenten Mendès – France „beerdigt“.
III.
Zurück ins hier und heute.
Schuman hat von der europäischen Föderation gesprochen, für die die EGKS den Grundstein legen sollte. Die EVG wäre ein weiterer Schritt hierfür gewesen.
Bei Lichte betrachtet hat die Vision der „Väter Europas“ ein großes Stück weit erfüllt:
Die EU ist ein föderativ strukturiertes politisches Gemeinwesen mit drei miteinander verflochtenen politischen Ebenen, Unionsebene, der staatlichen Ebene und der regionalen Ebene!
Man spricht in dem für die Bürgerinnen und Bürger so leicht verständlichen Europa-Jargon vom „Multi-level- governance-System“!
Mit der Fusion nationaler Souveränitäten, bzw. deren Übertragung auf gemeinschaftliche Institutionen im Rahmen der europäischen Gemeinschaften bis hin zur Europäischen Union ist eine neue politische Ordnung entstanden. In der „Verfassung“ der EU heißt es dazu wörtlich: „ Die Mitgliedstaaten übertragen der Union die Zuständigkeiten zur Verwirklichung ihrer gemeinsamen Ziele“.
Ursprünglich staatliche Aufgaben und Zuständigkeiten werden auf eine überstaatliche politische Ebene verlagert und somit hoheitliche Aufgaben, wie zum Beispiel die Rechtsetzung zwischen Unionsebene und staatlicher Ebene aufgeteilt. Mithin hat man es mit einer geteilten Souveränität zu tun. Eben dies entspricht im Kern dem Ordnungsprinzip des Föderalismus, in dem weitestgehend unabhängige Einheiten zusammen ein Ganzes bilden. Der Nationalstaat ist Teil einer größeren Einheit (Europäische Union), ohne gänzlich darin aufgegangen zu sein.
Ein Weiteres spricht für den föderalen Charakter der EU: die Struktur der Legislativen. Mit dem Europäischen Parlament verfügt die Europäische Union über eine direkte Volksvertretung, eine Repräsentanz der über 500 Millionen Unionsbürger. Auf der anderen Seite vertritt der Rat der EU, gemeinhin bekannt als der „Ministerrat“ die Interessen der Gliedstaaten.
Last but not least: Die Europäische Union besitzt eigene Rechtspersönlichkeit, ist ein Völkerrechtssubjekt, wie es auch die ihre Mitgliedstaaten sind.
Entscheidend für den Erfolg eines föderalen Systems sind jedoch das Austarieren der Machtverhältnisse und das Schaffen von Gleichgewichten zwischen dem von den Gliedern in Eigenverantwortung wahrgenommenen und dem gemeinsam verantwortetem und gestaltetem. Hieran mangelt es in der EU. Das, was die EU als politisches Gemeinwesen stark macht, ist die Rechtsgemeinschaft, d.h. die gemeinsame Rechtsordnung. Dieser rechtlichen Einheit steht auf der anderen Seite jedoch eine politische Vielfalt gegenüber. Es fehlt an einer transparenten und kohärenten Zuordnung von politischen Zuständigkeiten innerhalb des „multi-level-governance-systems“. Die Folge ist eine Ambivalenz, eine Gemengelage aus rechtlicher Einheit und politischer Vielfalt.
Ein hervorragendes Beispiel ist das, was man „gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik nennt.
Mit der Einheitlichen Europäischen Akte (1986), aber mehr noch mit dem Vertrag von Maastricht (1992) ist das Thema in Gestalt der GASP (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik) wieder auf die Tagesordnung gekommen.
Dass man diesen Politikbereich in das System der EU aufgenommen hat, war und ist grundsätzlich zu begrüßen. Und das aus gleich vielerlei Gründen.
Das Problem ist nur, man hat sich von Beginn auf die falsche Spur begeben. Wir reden von einer „gemeinsamen“ Außen- Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir reden nicht von einer „gemeinschaftlichen“ Außen- Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
„Gemeinsam“ steht für Kooperation, steht für intergouvernementale Methode, ist letzten Endes so etwas wie: ein bisschen schwanger!
Das Gegenstück ist „gemeinschaftlich“, im Sinne von integrativ, im Sinne von „Union“ und Föderation. Und eben das ist die Außen- und Sicherheitspolitik der EU nicht.
Im EU- Vertrag findet sich dazu folgende Bestimmung:
„Die Union ist nach Maßgabe des Vertrages über die EU dafür zuständig, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik einschließlich der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik zu erarbeiten und zu verwirklichen.“
… Die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist integraler Bestandteil der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.
Wie diese Wirklichkeit aussieht, hat Jean- Claude Juncker 2015 auf den Punkt gebracht: „ Im Vergleich zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist ein Hühnerhof ein geschlossene Kampftruppe“
Ursächlich dafür ist, dass wir es in der Außenpolitik nach wie vor mit einer Gemengelage zu tun haben. Die Zuständigkeit für die Außen- und Sicherheitspolitik liegt auf der staatlichen Ebene und nicht auf der Unionsebene.
Allein dieser Satz macht das ganze Dilemma deutlich. Im Prinzip kennt das politische Gemeinwesen EU zwei Arten von Außenpolitik, eine gemeinsame und 28 nationale. Jeder Mitgliedstaat betreibt eine eigene Außen-und Sicherheitspolitik, wie auch eine eigene Wirtschafts-und Finanzpolitik. Ist der Handlungsrahmen der nationalen Außenpolitik nicht begrenzt, bestimmt sich der Handlungsrahmen der gemeinsamen Außenpolitik an verfassungsmäßig definierten Zielen. Diese sind inspiriert von den Gründungsideen der Europäischen Union selbst.
Die Leitlinien der EU-Außenpolitik bestimmt der Europäische Rat. Die Umsetzung obliegt dem Rat für auswärtige Angelegenheiten, also dem Gremium der nationalen Außenminister. In beiden Organen der EU gilt hierbei das Einstimmigkeitsprinzip. EU- Außenpolitik ist also das Ergebnis zwischenstaatlicher Kooperationen (intergouvernementale Methode) der nationalen Regierungen. Was sich auch darin ausdrückt, dass das Europäische Parlament in die Beratungen, bzw. Beschlussfassung nicht eingebunden ist und auch keine Kontrollrechte besitzt.
Demzufolge kann es auch nicht überraschen, dass alle Mitgliedstaaten die GASP als Instrument nationaler Interessenswahrnehmung nutzen. Man kann auch mit Fug und Recht sagen: Missbrauchen!
Und genauso erklärt sich hieraus, warum sich die EU politisch im Konzert der Weltmächte weiterhin mit der Rolle einer verhinderten Weltmacht begnügen muss.
In der Verteidigungspolitik, die als ein integraler Bestandteil der gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik ist, sieht es nicht anders aus.
Nun werden Sie vielleicht einwenden, mit „PESCO“ habe man doch einen entscheidenden Schritt in Richtung „Verteidigungsunion“ getan. Vielleicht ist nicht jedem präsent, was PESCO bedeutet.
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Pesco
…ist die Abkürzung für Permanent Structured Cooperation.
Dahinter verbirgt sich die Absicht von 23 der 28 EU- Mitgliedstaaten, zukünftig im Bereich der Verteidigungspolitik gemeinsame Wege zu gehen. Am 13. November 2017 haben mit Ausnahme Dänemarks, Irlands, Portugals, Maltas und dem Vereinigten Königreich die Außen- und Verteidigungsminister der Mitgliedstaaten im Rahmen einer feierlichen Zeremonie ein Brüssel verabredet, gemeinsame Rüstungsprojekte voranzubringen und langfristig gemeinsame militärische Einheiten aufzubauen. In der Presse wurde die Gründung von Pesco zumeist als die europäische Antwort auf Donald Trump und seine Haltung zur NATO kommentiert.
Mit Pesco ist folgende Zielsetzung verbunden:
- Regelmäßige Erhöhung der nationalen Verteidigungshaushalte;
- Anhebung der Rüstungsausgaben;
- Durchführung gemeinsamer, strategischer Rüstungsprojekt;
- Erhöhung der Ausgaben für Forschung auf 2% des Verteidigungshaushaltes;
- Engere Zusammenarbeit im Bereich Cyberdefence;
- Bereitstellung von Einsatztruppen und Logistik für die EU- Battlegrpoups;
- Verbesserung der Interoperabilität der Streitkräfte, ihrer Strategien und Waffensysteme;
- Gemeinsame Finanzierung von Missionen im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP);
- Mehr Wettbewerb auf den europäischen Rüstungsmärkten.
Über die im Rahmen dieser Zielsetzung zu treffenden Maßnahmen entscheiden der EU- Rat in der Zusammensetzung der Verteidigungsminister der an Pesco teilnehmenden Mitgliedstaaten. Die Entscheidungen bedürfen in der Regel der Einstimmigkeit.
Die Projekte selbst werden von den Mitgliedstaaten selbständig organisiert.
Mit Verlaub: Für mich ist Pesco nichts Halbes und nichts Ganzes. Was hier als Einstieg in eine echte Verteidigungsunion verkauft wird, entpuppt sich für mich bei genauerem Hinsehen als Etikettenschwindel. In Wahrheit ist es doch wie bei der Außenpolitik. Die politische Zuständigkeit für die Verteidigung und Sicherheit bleibt bei den Nationalstaaten und die Verantwortung für die Streitkräfte sowie deren Einsatz in der Souveränität der Staaten. Einen wirklichen integrationspolitischen Ansatz kann ich das nicht nennen.
Da war Europa vor 65 Jahren schon ein ganzes Stück weiter.
Und damit bin ich wieder bei der Frage: Kommt die EU-Armee?
Ich habe eingangs gesagt, sie kommt, wenn Politik und Vernunft die gleichen Wege gehen. Und das bedeutet nichts anderes als die Notwendigkeit, die EU als echte Föderation weiter zu entwickeln.
Die Zuständigkeit für Außen-Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehören auf die Unionsebene. Dafür sind die entsprechenden institutionellen Voraussetzungen zu schaffen.
Meine Damen und Herren,
nur dann, nur, wenn wir in Europa die Bedingungen zu einer gemeinschaftlichen Politik in diesen Bereichen schaffen, dann macht die EU-Armee Sinn. Dann ist sie für die Verteidigungsunion das, was der Euro ursprünglich für die Wirtschafts- und Währungsunion sein sollte – Die Krönung!
Wenn die Politik endlich in Europa den Weg der Vernunft geht, dann führt dieser Weg zwangsläufig zur EU-Armee, die dann ein politisches Instrument der europäischen Föderation ist.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!