Europastunde

…ist ein mir ganz besonders am Herzen liegendes Projekt. So selbstverständlich für die junge Generation heute Europa ist, so wenig wissen sie um die Hintergründe und Zusammenhänge. Sie leben in einer europäischen Welt, die sie eigentlich nicht verstehen, in der ihnen insbesondere die politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge nicht bewusst sind. Dem trägt das Projekt „Europastunde“ Rechnung.

Angefangen hat alles im Frühjahr 2017 mit der Frage der Leiterin der Bibliothek von Schengen, Aline Pütz, ob ich bereit wäre, mit Primarschülern im Alter von 11-12 Jahren über Europa zu diskutieren. Ich räume ein, zunächst skeptisch gewesen zu sein. Kann man mit Jugendlichen dieses Alters überhaupt über Europa ernsthaft diskutieren und wie soll man es anstellen, dass sie nicht schon nach fünf Minuten gelangweilt geistig abschalten? Zu meiner eigenen Überraschung durfte ich sehr schnell feststellen: Man kann! Es kommt auf den Blickwinkel und den Aufhänger an, unter dem man das Thema erörtert.

Es folgten bis zu Beginn der Corona-Krise diverse Diskussionsveranstaltungen, vor allem in Sekundarschulen mit Jugendlichen  unterschiedlicher Altersgruppen in Deutschland, Luxemburg und Ostbelgien.

In ganz besonderem Maße hat sich der Europaverein Eschweiler als Partner in diesem Projekt hervorgetan.

Artikel aus der Aachener Zeitung / Aachener Nachrichten. 

Europastunde im Schengen-Gymnasium / Perl

Bei allen Veranstaltungen ist von Seiten der Schülerinnen  und Schüler, aber auch von den Lehrern reklamiert worden, das Thema „Europa / Europäische Union“ komme nicht, oder nur völlig unzureichend im Schulunterricht zur Sprache. Am Desinteresse der Schülerinnen und Schüler kann es nicht liegen, denn in allen Fällen konnte ich sehen, wie sich die Jugendlichen für Europa begeistern, zumindest aber interessieren lassen. So kann es eigentlich nicht überraschen, dass für diese Generation Europa trotz EU, trotz Euro, trotz Erasmus-Programm und anderes  mehr, weitestgehend terra incognita ist. So selbstverständlich für sie Europa als Lebenswelt ist, so wenig sind sie sich ihres „Europäertums“ bewusst. Dies wiegt umso schwerer, als die  Globalisierung in zunehmendem Maße nicht nur einen Wettbewerb um Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum bedeutet, sondern gleichermaßen einen Wettbewerb um Lebensformen, Weltanschauungen und Philosophien.

Vor dem Hintergrund der aus den Gesprächen gewonnen Erkenntnissen und Erfahrungen habe ich mich mit der Frage auseinandergesetzt: Wie lässt sich „Europa“ im Schulunterricht inhaltlich und didaktisch vermitteln?

 

Hier das Ergebnis meiner Überlegungen:

Zur Vermittlung dessen, was „Europäertum“ bedeutet, bieten sich drei Themenschwerpunkte an:

  1. Europa als Kultur-und Wertegemeinschaft
  2. Europa als die Idee der Einheit in Frieden und Freiheit
  3. Europa (=EU) als politisches Gemeinwesen

 

Europa als Kultur-und Wertegemeinschaft

Europa ist eine geistig-kulturelle Einheit. Die Europäer bilden eine Kultur – und Wertegemeinschaft, deren Ursprünge in die griechisch-römische Geschichte zurückreichen. Aus dieser Kultur-und Wertegemeinschaft legitimiert sich die EU, was in den Präambeln von EU- Vertrag und Charta der Grundrechte ausdrücklich betont wird. Dort ist die Rede vom „ kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas“ und des sich daraus entwickelten gemeinsamen Wertekanons (Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit  Freiheit, Gleichheit, Solidarität). Alles das bildet das Gerüst des heutigen europäischen Lebens-und Gesellschaftsmodells, mithin des Europäertums. Sich dieses Lebens- und Gesellschaftssystems bewusst zu sein, bedingt die Auseinandersetzung mit dem gemeinsamen kulturellen Erbe, dessen Entwicklungsgeschichte und insbesondere mit dem Wesensgehalt der Werte.

Europa als die Idee der Einheit in Frieden und Freiheit

„Die Einheit der Völker Europas in Frieden und Freiheit“ gilt seit je her als der Wesenskern dessen, was man gemeinhin die „Idee Europa“ nennt. Über Jahrhunderte hat dieser Traum die Europäer bewegt und große Intellektuelle inspiriert. Keines der vielen Konzepte ist jedoch über das Stadium des intellektuellen Luftgebildes hinausgekommen. Heute zu Beginn des 21. Jahrhunderts leben 450 Millionen Europäer in Frieden und Freiheit als Unionsbürger zusammen.

Europa, die EU ist aber weniger das Ergebnis pro-europäischen Idealismus als vielmehr das Ergebnis zuweilen brutaler historischer Prozesse auf dem Kontinent. Wie schwierig der Weg Europas von einer Konflikt- zu einer Friedensgemeinschaft war, lässt sich ablesen an den vielzähligen Versuchen, den Kontinent zu befrieden (Westfälischer Frieden von 1648, Wiener Kongress von 1815, Versailler Vertrag von 1919, Konferenzen von Jalta und Potsdam 1945). Erst am 9. Mai 1950 gelingt es Robert Schuman und Konrad Adenauer, den Grundstein für eine nachhaltige Friedensordnung zu legen.

Sich seines Europäertums bewusst zu sein, bedingt die Kenntnis der geschichtlichen Zusammenhänge  und das Begreifen der eigenen (nationalen) Geschichte als Teil einer gemeinsamen europäischen Geschichte.

 

Europa (=EU) als politisches Gemeinwesen

Mit der EU haben die Europäer  den weitestgehend erfolgreichen Versuch unternommen, ihr Lebens- und Gesellschaftsmodell mit einer definitiven politischen  Ordnung zu verbinden. Eine politische Ordnung, die 27 Staaten, etwa 300 Regionen in einem föderativ strukturierten politischen Gemeinwesen verbunden und über 450 Millionen Menschen zu gleichberechtigten Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern vereinigt hat. Mit der Unionsbürgerschaft findet  das Europäertum seinen sichtbaren Ausdruck.  Das Wesen der Unionsbürgerschaft lässt sich jedoch nur begreifen, wenn das politische System der EU und seine Funktionsweise  insgesamt verstanden sind.

Bei der didaktischen Aufbereitung der vorstehenden Themen und Inhalte für den Schulunterricht ist es für das damit beabsichtigte Lernziel (Bewusstsein um das Europäertum) entscheidend, sich eines anderen als des bisher üblichen Blickwinkels zu bedienen.

So sollten „Aufklärung“ und „Humanismus“ (um nur zwei Beispiele zu nennen), die wesentlich zur Entwicklung des europäischen Menschenbildes und Gesellschaftsmodells beigetragen haben, als europäische Phänomene betrachtet werden. In Bezug auf die Französische Revolution sind z. Bsp. darüber hinaus ihre Auswirkungen auf die Entwicklung der europäischen Nationalstaaten von Relevanz. Die zivilisatorischen Errungenschaften wie Menschenrechte, Demokratie, Liberalismus, Rechtsstaatlichkeit gilt es in einen Bezug zu den aktuellen politischen und gesellschaftlichen  Herausforderungen zu stellen und zu diskutieren.

So empfiehlt sich zur Aufbereitung und Vermittlung der für die heutige europäische Lebenswelt relevanten historischen Prozesse eine ex post Betrachtung. Nicht Jahrhundert für Jahrhundert gilt es in der Zeitfolge abzuarbeiten, also vom Europa der Antike bis hin zum Europa des 21. Jahrhunderts, sondern das heutige Europa in Gestalt der Europäischen Union als die Wirkung dessen zu begreifen, was in früheren Ereignissen und Entwicklungen seinen Ursprung und seine Ursache findet. Da Geschichte vornehmlich das Ergebnis menschlichen Denkens und darauf gründenden Handelns ist, sind die jeweils maßgeblichen Akteure zu identifizieren, vor allem aber zu porträtieren. Den 9. Mai 1950 hätte es nicht gegeben, wenn nicht Jean Monnet die entscheidende Konzeption für die Einigung Europas entwickelt und in Robert Schuman einen Politiker gefunden hätte, dem aufgrund seiner Herkunft und seines persönlichen Werdeganges die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland ein persönliches Anliegen gewesen ist.

So lässt sich die heutige EU als politisches Gemeinwesen und eben nicht nur als ein Binnenmarkt verstehen, wenn man die  Konzeption Jean Monnets, deren Hintergründe und die politischen Rahmenbedingungen zu Beginn der 1950er Jahre erklärt. Das von Monnet gewählte Prinzip der Integration durch Transformation des Nationalstaates gründete auf den Prinzipien des Föderalismus. Und eben dieser ist wiederum eine europäische „Erfindung“. Die Europäische Union als Friedens- und Rechtsgemeinschaft ist ohne das Verständnis des Ordnungsprinzips des Föderalismus nicht erklärbar.

Das Vorstehende erhebt selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit!

Gemeinsam mit dem Centre européen Robert Schuman in Scy Chazelles /Frankreich  und dem Netzwerk von MEDIA FOR EUROPE , Luxemburg, werden zurzeit Möglichkeiten der Realisierung dieses Projektes überlegt.