Europa ist ein Haus der Freiheit

Alle Europäer sind vor dem Gesetz gleich! Das ist das wahrhaft Revolutionäre der europäischen Integration seit den 1950er Jahren.

Die Gleichheit vor dem Gesetz, die vor über 200 Jahren zum Ideal der Französischen Revolution geworden ist,  ist für 500 Millionen Europäerinnen und Europäer im 21. Jahrhundert Teil ihrer Lebenswirklichkeit. Das Prinzip der Gleichheit und Gleichberechtigung aller Bürger zählt zu den Verfassungsprinzipien der EU. Diese Gleichheit  verbindet ihre Angehörigen zu einer „Union der Bürger“. Mit ihr wird Europa zu einem Haus der Freiheit. Für diese Einheit und Freiheit ist die Unionsbürgerschaft zum Synonym geworden.

Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt. Folglich sind wir Unionsbürger aus Frankreich, aus Spanien, aus Polen, aus Deutschland,…! Wir sind deshalb keine „EU-Ausländer“ aus Lettland, Portugal, Malta….!

Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht. Mithin sind wir zugleich Unionsbürger und Staatsbürger. Indem die Unionsbürgerschaft zur Staatsbürgerschaft „hinzutritt“, sie also ergänzt, verschafft sie dem Einzelnen Privilegien und Rechte, die über das hinausgehen, was seinen Status als Staatsbürger ausmacht.

Als Staatsbürger genießen wir bürgerliche, politische und soziale Rechte. Das Entscheidende dabei ist, dass diese Rechte jeweils nur den Staatsbürgern eines Landes vorbehalten sind und die Wahrnehmung dieser Rechte auch nur innerhalb der Grenzen dieses Staates möglich ist. Außerhalb des eigenen Staates verlieren diese Rechte für den Bürger ihre Wirksamkeit, er wird zum Ausländer. Hierin offenbart sich das dem Nationalstaat innewohnende  Prinzip der Aus- und Abgrenzung.

Abgrenzung deshalb, weil sich der Nationalstaat geographisch definiert, der Staat als politische Institution seine Legitimation aus dem ihm gehörenden Territorium ableitet, auf dem er das Gewaltmonopol zur Durchsetzung der von ihm selbst geschaffenen Gesetze inne hat. Mit seiner eigenen Rechtsordnung grenzt er sich von dem Nachbarstaat ab.

Ausgrenzung deshalb, weil jeder Staat auf der Grundlage seiner Rechtsordnung einen bestimmten Kreis von Menschen als seine Staatsangehörige qualifiziert und alle anderen als Ausländer oder Fremde ansieht, mit der Konsequenz, dass beide Gruppen rechtlich ungleich behandelt werden (Stichwort: Ausländerdiskriminierung).  Der Staat behält bestimmte Rechte seinen Staatsangehörigen vor oder unterwirft Fremde einem Sonderrecht. Den Status des Staatsbürgers und damit auch die Möglichkeit der Teilhabe am öffentlichen und politischen Leben an seinem Wohnort, d.h. seine Einbürgerung kann der Ausländer/ Fremde nur durch einen vom Willen der staatlichen Behörden abhängenden Akt der Verleihung erlangen – einer Art „Gnadenakt“.

Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten hebt die Unionsbürgerschaft mithin die landläufige Abgrenzung Inländer /Ausländer auf. In ihrer Staatsbürgerschaft unterscheiden sich die über 500 Millionen Europäer, in ihrer Unionsbürgerschaft bilden sie eine gleichberechtigte Gemeinschaft. Die Gleichstellung als Unionsbürger folgt aus der Gleichheit vor dem Gesetz, dem Unionsrecht. Daraus folgt: Es gibt keine „EU-Ausländer“! Für 500 Millionen UnionsbürgerInnen ist die EU Inland!

Die mit der Unionsbürgerschaft begründete Gleichheit vermittelt dem EU- Bürger eine in der Welt einzigartige Freiheit in der Lebensgestaltung und eine weit über die Grenzen des Nationalstaates hinausgehende Lebenswelt.

Diese Freiheit drückt sich aus in dem Recht der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, sich überall in der Europäischen Union, soll heißen in allen Mitgliedstaaten, frei zu bewegen und aufzuhalten, ihren Wohnsitz zu nehmen und Eigentum zu erwerben.  Dabei gelten für sie die gleichen Bedingungen wie für die Staatsangehörigen des jeweiligen Landes. Jegliche Art der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist verboten.

Damit verbunden sind politische Rechte, nämlich die Möglichkeit am demokratischen Leben vor Ort teilzuhaben. So besitzt der Unionsbürger am Ort seines Wohnsitzes  das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen. Als ein in Belgien lebender deutscher Staatsbürger könnte der Autor also (theoretisch) zum Bürgermeister seiner Gemeinde gewählt werden. Gleiches gilt für die Wahlen zum Europäischen Parlament. Auch hier ist die Ausübung des Wahlrechtes  nicht an die Staatsangehörigkeit sondern an den Wohnsitz des Unionsbürgers geknüpft. So kann auch ein Unionsbürger aus Polen mit Wohnsitz in Spanien von den dortigen Wählern ins Europäische Parlament entsandt werden.

Anders als die politischen Rechte der Unionsbürger haben deren wirtschaftlichen Rechte bereits eine lange Tradition. Genauer gesagt, sie wurden mit der Gründung der EWG im Jahre 1957 begründet und seither durch die Rechtssetzung der europäischen Institutionen, insbesondere durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) sukzessive ausgeformt. Man spricht in diesem Zusammenhang von den (wirtschaftlichen) Grundfreiheiten, die zum Kernbestand der spezifischen Rechte des Unionsbürgers gehören.

Hierzu zählt das Recht des Unionsbürgers, überall in der EU einen Arbeitsplatz zu suchen. Im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses gelten für ihn die gleichen Bedingungen wie für einen einheimischen Mitarbeiter.

Zu den Grundfreiheiten zählt sodann das Recht eines jeden Unionsbürgers, überall in der EU eine selbständige Tätigkeit auszuüben, ein Unternehmen zu gründen oder dessen Leitung zu übernehmen. Auch hierbei gelten die, soweit vorhanden, gemeinschaftlichen Rechtsnormen und nationalen Bestimmungen für ihn genauso wie für die Staatsangehörigen des jeweiligen Landes. Diese sog. Niederlassungsfreiheit gilt für natürliche wie juristische  Personen gleichermaßen.

Zu guter Letzt ist es das Recht des Unionsbürgers, überall innerhalb der EU seine Dienstleistungen anzubieten und zu erbringen. Auch hierbei gilt das zuvor Gesagte entsprechend. In diesem hier skizzierten Konglomerat an Rechten und Freiheiten, beweist sich die Europäische Union als Union der Bürger, als die Jean Monnet Europa stets verstanden wissen wollte. Der Wert solcher Rechte und Freiheiten bemisst sich jedoch an den Möglichkeiten, diese effektiv durchzusetzen.

Dem Unionsbürger steht dafür ein vollständiges und wirksames Rechtsschutzsystem zur Verfügung, in dem der Europäische Gerichtshof den entscheidenden Part einnimmt. Mit diesem Rechtsschutzsystem gewährleistet die EU dem Einzelnen einen effektiven gerichtlichen Schutz derjenigen Rechte, die sich aus der Unionsrechtsordnung herleiten und erweist sich auch insofern als eine „Union der Bürger“.

Diese Unionsbürgerschaft ist mehr als ein Rechtsstatus. Sie ist ein in höchstem Maße gesellschaftspolitisches Phänomen. Um das zu begreifen, muss man sich einmal die Wahrnehmung eines Chinesen, eines Amerikaners oder z. Bsp. eines Russen vergegenwärtigen, wenn sie in London, Frankfurt oder Paris ankommend sich vor der Passkontrolle anstellen. Während sie selbst sich bei „Non-EU“ aufreihen, sehen sie, wie all die Unionsbürger, die mit ihnen im Flugzeug saßen, nebenan unter dem Schild „EU“ durchgehen. Diese haben alle denselben Pass. Für die Amerikaner sind es nicht Franzosen, Italiener, Deutsche oder Ungarn, es sind Bürger der EU- Unionsbürger!