Europa – Bildung tut Not

In seiner Regierungserklärung hat der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens (DG), Oliver Paasch, im Bildungsbereich „mehrere grundlegende Reformen“ angekündigt.

Reformen, die dazu beitragen sollen, dass „die Kinder und Jugendliche, die uns anvertraut sind, optimal auf ein selbstbestimmtes und verantwortungsbewusstes Leben in einer sich stetig wandelnden Gesellschaft vorbereitet sind“.

 

Der stetige Wandel der Gesellschaft, für den die Schulen der DG den Kindern und Jugendlichen das notwendige Rüstzeug vermitteln sollen, ist gekennzeichnet durch die Globalisierung. Globalisierung ist, wie wir inzwischen wissen, nicht nur ein ökonomisches Phänomen, bedeutet nicht nur den Wettbewerb um Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum. „Globalisierung“  ist  inzwischen gleichermaßen zum Synonym für einen Wettbewerb um Lebensformen, Weltanschauungen und Philosophien geworden. Und damit sind wir geradezu zwangsläufig bei dem Thema Europa und mehr noch bei der Europäischen Union. Mit dieser Europäischen Union ist erstmals der erfolgreiche Versuch unternommen worden, das den Europäern gemeinsame Lebens- und Gesellschaftsmodell in eine definitive politische Ordnung zu überführen. Die tragenden Säulen dieses europäischen Lebens- und Gesellschaftsmodells sind Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die universellen Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit und Solidarität, auch wenn letztere in unserer Gesellschaft nicht zuletzt dank des Neoliberalismus  immer mehr unter die Räder kommt. Das Fundament des Ganzen bildet das „kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas“, worauf explizit die Präambel des EU- Vertrages Bezug nimmt. Aus all dem legitimiert sich die EU als politisches Gemeinwesen mit ihren (noch) 28 Mitgliedstaaten, über 300 Regionen und vor allem 500 Millionen gleichberechtigten Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern.

Die Lebenswelt unserer Kinder ist heute schon Europa, für sie ist Europa eine Selbstverständlichkeit. Umso  mehr muss es erschrecken, wie wenig sie um ihre Lebenswelt wissen, wie wenig sie sich ihres „Europäertums“ bewusst sind.  Das gilt bedauerlicherweise übrigens nicht nur für die jüngere Generation.

Ein Gemeinwesen kann aber nur funktionieren, wenn, wie es Pabst Benedikt XVI. einmal formuliert hat, „in der Gemeinschaft (Gemeinwesen)Überzeugungen lebendig sind, die die Menschen zu einer freien Zustimmung zu einer gemeinschaftlichen Ordnung motivieren können. Überzeugung ist nicht von selbst da, sondern muss immer neu gemeinschaftlich errungen werden.“

Überzeugungen gründen auf Wissen. Zumindest sollte es so sein. Wissen wiederum bedingt Bildung.

Was also liegt näher, als in Zeiten wie diesen, in denen der Ungeist des Nationalismus und des Rechtspopulismus in Europa eine Renaissance erleben, endlich das Thema „Europa“ auf den Lehrplan der Sekundarschulen zu setzen?

Dabei bieten sich drei Themenschwerpunkte an:

  1. Europa als Kultur- und Wertegemeinschaft

Gegenstand ist hier das bereits angesprochene Lebens- und Gesellschaftsmodell der Europäer, um dessen Erhalt es in der Globalisierung  letztendlich geht.

  1. Europa als die Idee der Einheit in Freiheit, Gleichheit und Solidarität

Die EU ist weniger das Ergebnis pro-europäischen Idealismus als vielmehr das Ergebnis zuweilen brutaler historischer Prozesse auf dem Kontinent. Wie schwierig der Weg der Europas von einer Konflikt- zu einer Friedensgemeinschaft war, lässt sich ablesen an den vielzähligen Versuchen, den Kontinent zu befrieden. Sich seines Europäertums bewusst zu sein, bedingt die Kenntnis der geschichtlichen Zusammenhänge und das Begreifen der eigenen (nationalen) Geschichte als Teil einer gemeinsamen europäischen Geschichte.

  1. Die EU als politisches Gemeinwesen

Wir sind Unionsbürger aus Belgien, Deutschland, Schweden, Polen….. . Was es heißt, Unionsbürger zu sein, lässt sich nur begreifen, wenn das politische System der EU und seine Funktionsweise insgesamt verstanden sind.

In seiner Regierungserklärung hat der Ministerpräsident von der Entwicklung einer „Gesamtvision für unser Bildungssystem“ gesprochen. Mit der Einbeziehung des Themas „Europa“ in das schulische Bildungsprogramm würden er und seine Regierung wirklich Visionskraft beweisen!