Es gibt keine „EU-Ausländer“
Die ostbelgische Tageszeitung „Grenzecho“ macht in ihrer Ausgabe vom 22. August mit dem Beitrag „Ausländer mischen bei der Wahl mit“ auf. Hintergrund sind die im Oktober in Belgien stattfindenden Kommunalwahlen. In dem Beitrag heißt es: „13,83 % der Wahlberechtigten in Raeren sind Ausländer“ Einige Seiten später differenziert der Autor des Beitrages zwischen „EU- Ausländern“ und „Nicht-EU-Ausländern“.
Nun, zugegeben, man versteht, was er meint. Das Problem ist jedoch: Es gibt keine „EU-Ausländer“! Das ist ein Terminus, der der EU- Realität nicht gerecht wird. Im Gegenteil, er führt in die Irre, weil er das konterkariert, was das eigentlich Revolutionäre der europäischen Integration ist.
Warum gibt es keine „EU- Ausländer? Ganz einfach: Weil es kein EU- Ausland gibt. Die Mitgliedstaaten der EU sind im Verhältnis zueinander nicht ausländische (souveräne) Staaten, sondern in ihrer Gesamtheit Teile einer Union, eines in sich geschlossenen politischen Gemeinwesens. Mithin: die EU ist für uns alle Inland. Das mag überraschen, erklärt sich aber sehr schnell, wenn man den Blickwinkel auf die EU verändert. Ein Schlüsselwort heißt „Unionsbürgerschaft“. Das, was den Ausländer vom Inländer unterscheidet, ist die unterschiedliche Rechtsstellung in der jeweiligen nationalen Rechtsordnung. Der Staat behält bestimmte Rechte seinen Staatsangehörigen vor und unterwirft den Fremden, den Ausländer einem Sonderrecht. Die Unionsbürgerschaft hebt diesen Unterschied innerhalb der EU für die Angehörigen der 28 Mitgliedstaaten auf. Auf einen einfachen Nenner gebracht: Als Unionsbürger sind die Bürger der 28 Staaten vor dem Gesetz gleich! Das Prinzip der Gleichheit und Gleichberechtigung aller Bürger zählt zu den Verfassungsprinzipien der EU. Die Europäische Union hat die über 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger aus 28 europäischen Staaten zu einer Gemeinschaft gleichberechtigter UnionsbürgerInnen vereinigt.
Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt“, heißt es in der „Verfassung“ der EU. Wir sind also Unionsbürger aus Frankreich, aus Deutschland, aus Belgien, aus..!
Wir sind aber nicht „EU-Ausländer“ aus Lettland, Schweden, Portugal, Malta…!
„Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht“, heißt es weiter in der „Verfassung“ der EU. Wir sind also zugleich Unionsbürger und Staatsbürger. Indem die Unionsbürgerschaft zur Staatsbürgerschaft hinzutritt, sie also ergänzt, verschafft sie uns Privilegien und Rechte, die über das hinausgehen, was unseren Status als Staatsbürger ausmacht. Die mit der Unionsbürgerschaft begründete Gleichheit vermittelt uns, die wir die Staatsangehörigkeit eines der 28 Mitgliedstaaten besitzen, eine in der Welt einzigartige Freiheit in der Lebensgestaltung und eine weit über die Grenzen des Nationalstaates hinausgehende Lebenswelt. Wir haben das Recht, uns überall in der EU frei zu bewegen und aufzuhalten, zu wohnen, Eigentum zu erwerben, zu studieren oder zu arbeiten. Dabei gelten für uns Unionsbürger die gleichen Bedingungen wie für die Staatsangehörigen des jeweiligen Landes. Wir müssen uns um diese Rechte nicht einmal bemühen, sie nicht einmal beantragen oder auf einen „Gnadenakt“ der nationalen Administration hoffen.
Und dazu zählen eben auch politische Rechte, nämlich die Möglichkeit am demokratischen Leben vor Ort teilzuhaben. Eben deshalb besitzen die Unionsbürger, auch wenn sie nicht die belgische Staatsbürgerschaft besitzen, hier in Belgien das aktive und passive Wahlrecht bei den anstehenden Kommunalwahlen! Gleiches gilt für die Wahlen zum Europäischen Parlament. Das alles garantiert uns die „Verfassung“ der EU.
Und noch ein letzter Aspekt, quasi das „Sahnehäubchen“. Diese Unionsbürgerschaft ist mehr als ein Rechtsstatus. Sie ist ein in höchstem Maße gesellschaftspolitisches Phänomen. Um das zu begreifen, muss man sich einmal die Wahrnehmung eines Amerikaners, eines Chinesen oder zum Beispiel auch nur die eines Russen vergegenwärtigen, wenn sie in London, Frankfurt oder Paris ankommend sich vor der Passkontrolle anstellen. Während sie selbst sich bei „Non- EU“ anstellen, sehen sie, wie all die Unionsbürger, die mit ihnen im Flugzeug saßen, nebenan unter dem Schild „EU“ durchgehen. Diese haben alle denselben Pass. Für die Amerikaner sind es nicht Franzosen, Italiener, Deutsche oder Ungarn, es sind Bürger der EU, EU- Bürger oder eben, wie es richtig heißt, Unionsbürger.
Die Unionsbürgerschaft ist ein Phänomen des 21. Jahrhunderts. Unterlassen wir es doch, Phänomene dieses Jahrhunderts mit Begriffen des 19. Jahrhunderts zu erklären, oder Wortschöpfungen wie „EU- Ausländer“ zu verwenden, die eine geistige Anleihe im 19. Jahrhundert verraten. Inländer/ Ausländer- diese Abgrenzung gibt es für uns als Gemeinschaft gleichberechtigter Unionsbürger nicht mehr! Das ist ein Stück europäische Lebenswelt- das ist ein Stück gelebtes Europa!